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Die Geschichte des Anderen verstehen lernen

Israel und Palästina im 20. Jahrhundert

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593502816
Sprache: Deutsch
Umfang: 279 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 28 x 23.1 cm
Auflage: 1. Auflage 2015
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Es ist bekannt, dass in jeder Auseinandersetzung die eine Seite eine ganz andere 'Geschichte' erzählt als die andere. Dies gilt auch für den Nahostkonflikt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen Arabern und Juden in Palästina entbrannte und seinen Niederschlag auch in den Schulbüchern der beiden Konfliktparteien fand. Im Jahr 2000, nach einer erneuten Welle eskalierender Gewalt im Nahen Osten, suchte eine Gruppe palästinensischer und israelischer Lehrer einen Ausweg aus der Sackgasse und nach einer neuartigen Darstellung dieses Geschehens: Sie überbrückten ihre Vorurteile und schrieben die Geschichte des Konflikts aus ihrer jeweiligen Sicht nieder. So entstanden zwei Erzählungen des Nahostkonflikts, die dieses Buch Seite für Seite nebeneinanderstellt. Beim Lesen erschließt sich dadurch nicht nur der Verlauf der Ereignisse - von der Balfour-Deklaration (1917) bis zum Ende des 20. Jahrhunderts -, sondern auch, wie Feindbilder entstehen und wie Vorurteile überwunden werden können. Zudem wird deutlich, dass es - auch im Nahostkonflikt - nicht nur eine Wahrheit der Geschichte und ihrer Interpretation gibt.

Autorenportrait

Das Peace Research Institute in The Middle East (PRIME) ist eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die 1998 von dem israelischen Psychologen Dan Bar-On und Sami Adwan, einem palästinensischen Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Bethlehem, ins Leben gerufen wurde. Eyal Naveh lehrte als Geschichtsprofessor an der Universität in Tel Aviv.

Leseprobe

Der Ansatz dualer Narrative: Jüdisch-israelische und palästinensische Schüler lernen die Geschichte der anderen Konfliktpartei kennen Sami Adwan und Dan Bar-On Dieses Buch ist das Ergebnis einer kreativen pädagogischen Herangehensweise, die von einer Gruppe von palästinensischen und israelischen Lehrern entwickelt wurde und die sämtlich als Koautoren mit uns zusammen geschrieben haben: Myoun Al-Husaini, Khalil Bader, Nir Cohen, Natalia Gotkobiski, Niv Keidar, Eyal Keren, Eshel Klinhouse, Sara Maor, Shai Miselman, Rula Musleh, Lila Noy, Yiftach Ron, Yousef Tumaizi (1957-2002), Naom Vered, Sahar Yousef, Rachel Zamir und andere. Beraten und begleitet von zwei Historikern, Professor Eyal Naveh und Professor Adnan Musallam, arbeitete die Gruppe zwischen 2002 und 2007 über einen Zeitraum von sieben Jahren hinweg unter der Federführung von PRIME (Peace Research Institute in the Middle East). Die Herausgeber des Textes sind auch die Kodirektoren von PRIME. Das gemeinsame Ziel war es, eine originelle Idee zu verwirklichen: einen historiografischen Text mit zwei Narrativen über Ereignisse, die das Schicksal zweier Nationen im vergangenen Jahrhundert bestimmten. Für diese beiden Völker war - wie für viele andere auch - das 20. Jahrhundert der Staatsgründung gewidmet. Während dieser Prozess normalerweise eine positive Bedeutung für eine Gesellschaft hat, verlief in diesem Fall die Entwicklung dieser beiden Nationen unglücklicherweise in Opposition zueinander und sogar, bis zu einem gewissen Grad, auf Kosten des jeweils anderen (Bar-Tal, 2000). Der unlösbare Konflikt zwischen den beiden Gesellschaften verstärkte über die letzten hundert Jahre hinweg die Konstruktion ihrer voneinander getrennten kollektiven Identitäten, um den Preis einer vergifteten Beziehung zwischen den Menschen beider Gesellschaften. Daher rührt der in diesem Buch verkörperte Ansatz: Die Darstellung der voneinander getrennten historischen Narrative dieser beiden Völker in einem gemeinsamen Lehrbuch - sodass Oberstufenschüler und Studenten, Lehrer, Ausbilder von Lehrern und Eltern auf eine Art und Weise mit dem Narrativ der anderen Nation konfrontiert werden, dass sie es als neue und wertvolle Information für sich anerkennen. Mit diesem Buch weicht die gewohnheitsmäßige Haltung, das historische Narrativ des jeweils anderen einfach zu ignorieren, zugunsten eines Prozesses der Entwicklung von gegenseitigem Respekt und dem Verständnis für die jeweilige "Logik" jeder Seite und damit einem notwendigen (wenn auch nicht ausreichenden) Schritt hin zu einer besseren Beziehung zu den "anderen" und zwischen den beiden Völkern. Durch die Wahl dieses Ansatzes haben wir die Möglichkeit aufgegeben, eine einzige "überbrückende Erzählung" zu entwickeln, mit der sich Menschen beider Gesellschaften identifizieren könnten. Nach dem Wiederausbruch weitverbreiteter Gewalt - nach der Al-Aqsa-Intifada - im Oktober 2000 kamen wir zu dem schmerzhaften Schluss, dass ein solches überbrückendes Narrativ als nicht lebensfähig im Kern unserer Gesellschaft erscheint, nicht für einige Zeit, vielleicht auch nicht innerhalb der nächsten Generationen. Das gegenseitige Misstrauen, der Hass und die Vergiftung der Gemüter unter beiden Völkern in Bezug auf die "Anderen" sind derart intensiv geworden, dass die Aufrechterhaltung einer wechselseitigen Verbindung unmöglich geworden ist, außer für eine sehr kleine und exklusive Elite auf jeder Seite. Wir fragten uns an dieser Stelle, was man angesichts des gegenwärtigen feindseligen Klimas tun könne, wenn man nicht zuschauen und die sich beschleunigende negative Dynamik beobachten will. Wir haben beschlossen, einen Prozess zu initiieren, der es beiden Völkern ermöglichen würde - insbesondere den jüngeren Generationen -, über eine eindimensionale Identifikation mit dem eigenen Narrativ hinauszugehen und Anerkennung, Verständnis und Respekt (ohne bloße Hinnahme) für die Erzählung des Anderen aufzubringen. Die Tatsache, dass diese Idee angesichts des zu dieser Zeit überwiegend feindseligen politischen Klimas naiv oder sogar utopisch klingen könnte, schreckte uns nicht ab. In einer früheren Studie beschrieben wir den Prozess: Wie eine Gruppe von israelischen und palästinensischen Lehrern diese parallelen Texte entwickelten und in ihren jeweiligen Klassenräumen ausprobierten (Adwan und Bar-On, 2004; 2006). Im Lauf der ersten fünf Jahre (2002-2007) durchliefen die Lehrer während der Anfertigung ihrer jeweiligen Narrative eine bemerkenswerte Entwicklung, die eine eigenständige Diskussion verdient. Wir werden kurz auf einige der Fragen eingehen, die dabei aufkamen: 1. Mehrere Narrative wahrnehmen und damit umgehen: Kinder vs. Erwachsene. 2. Mehrere Narrative in Stresssituationen einführen: Ein Verfahren für den Umgang mit Trauer und ihres Durcharbeitens, um es einer Gruppe zu ermöglichen, den anderen und seine kollektive Existenz zu entdämonisieren. 3. Die Bewältigung von Machtasymmetrie bei gleichzeitiger Symmetrie der Narrative: eine konstante Spannung. 4. Ein Verständnis der Narrative als Reflexion der unterschiedlichen Phasen in der Nationsbildung: die monolithischen und die neomonolithischen Phasen in den beiden Gesellschaften, der palästinensischen und israelischen. 1. Mehrere Narrative wahrnehmen und damit umgehen: Kinder vs. Erwachsene Coleman und Lowe (2005) legen nahe, dass sich Menschen in Konfliktsituationen in ihrer Fähigkeit unterscheiden, entgegengesetzte Ideen zu tolerieren, und dass diejenigen mit einer höheren Toleranz im Prozess der konstruktiven Konfliktbearbeitung hilfreich sind. Was kann diese Toleranz erzeugen? Steele, Spencer und Lynch (1993) schlagen vor, dass eine solche Toleranz an persönliche Eigenschaften gebunden ist - z. B. hohes Selbstwertgefühl - oder an situative Faktoren, die eine solche Toleranz verstärken können (Bargh und Cartrand, 1999). Peng und Nisbett (1999) haben festgestellt, dass kulturelle Unterschiede bei den je unterschiedlichen Fähigkeiten wirksam sind, dialektische Lösungen für soziale Dilemmata zu finden. Orientalische Studenten zeigten eine höhere Bewältigungsfähigkeit als westliche Studenten, die mehr formallogische Argumente verwendeten. Darüber hinaus tendierten westliche Studenten dazu, zwei widersprüchliche Erklärungen für dasselbe Geschehen zu polarisieren, während orientalische Studenten dazu neigten, sie als gleichwertig zu akzeptieren. Harris und Giménez (2005) fanden heraus, dass junge Kinder in der westlichen Kultur dazu neigen, eine biologisch-weltliche Einstellung gegenüber dem Tod einzunehmen, während die Erwachsenen eine größere Tendenz dazu zeigen, an die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod zu glauben. Indem sie die Einstellung von Kindern und Erwachsenen zu Wahrheit und Lüge verglichen, testeten Fu, Lee, Cameron und Xu (2001) orientalische und westliche Kinder daraufhin, wie sie eine Verheimlichung der Wahrheit im Rahmen von prosozialen Aktivitäten bewerten. Orientalische Erwachsene nahmen dieses Verheimlichen der Wahrheit nicht als Lüge wahr, wenn sie auf eine prosoziale Aktivität bezogen war, während westliche Erwachsene dies sehr wohl taten. Sowohl orientalische als auch westliche Kinder bewerteten ein solches Verheimlichen als positiv, selbst wenn sie es als Lüge benannten. Orientalische Kinder waren in Bezug auf diese Werte stärker von den Normen der Gesellschaft von Erwachsenen beeinflusst. Wir weisen darauf hin, dass Kinder an alltägliche Situationen gewöhnt sind, in denen es mehrere Narrative gibt, und dass sie durch eigene Erfahrungen lernen, wie man sich zwischen ihnen bewegt. Sie wissen beispielsweise, dass ihr Vater in Bezug auf bestimmte Themen einer anderen Sichtweise anhängt als ihre Mutter und dass man sich ihm daher auch auf eine andere Weise nähert. Ebenso verfügen ihre Geschwister wahrscheinlich auch über andere Narrative als ihre eigenen und sie unterscheiden sich auch untereinander (Bonitatibus und Beal, 1996). Eine Tradition der Entwicklungspsychologie mach...

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Zwei Wahrheiten einer langen Konfliktgeschichte